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Ausnahmen gemäß § 3 BFSG für Kleinstunternehmen verstehen

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Porträtfoto von Dmitry Dugarev

Autor: Dmitry Dugarev

Berater für digitale Barrierefreiheit & IT-Compliance

Zuletzt aktualisiert am:

Du hast sicher schon vom Barriere­frei­heits­stärkungs­gesetz (BFSG) gehört, das ab dem 28. Juni 2025 gilt [1]. Es stellt sicher, dass viele digitale Produkte und Dienstleistungen barrierefrei werden. Wenn Du ein kleines Unternehmen oder ein Solo-Selbstständiger bist, fragst Du Dich jetzt sicher: "Gilt das alles auch für mich?"

Hier habe ich gute Nachrichten: Für Kleinstunternehmen gibt es massive Ausnahmeregelungen.

Ich zeige Dir hier, was genau ein "Kleinstunternehmen" im Sinne des Gesetzes ist, welche Ausnahme für Dich gilt und wo der entscheidende Haken bei Produkten und Dienstleistungen liegt.

Bin ich ein "Kleinstunternehmen"? Die Definition

Bevor wir jubeln, müssen wir prüfen, ob Du überhaupt als Kleinstunternehmen zählst. Die Definition findest Du in § 2 Nr. 17 des BFSG [1].

Wichtig ist: Die erste Bedingung (weniger als 10 Beschäftigte) muss immer erfüllt sein, plus eine der beiden Finanz-Bedingungen. Als Solo-Selbstständiger fällst Du also definitiv darunter.

Hier ist ein Entscheidungsbaum, der Dir hilft, Deinen Status zu prüfen:

Textbeschreibung für "Flussdiagramm: Prüfung Kleinstunternehmen" öffnen

Dieses Flussdiagramm prüft schrittweise, ob ein Unternehmen die Kriterien eines Kleinstunternehmens nach § 2 Nr. 17 BFSG erfüllt.

  1. Der Prozess beginnt bei "Start: Prüfung Kleinstunternehmen".
  2. Erste Entscheidung: "Weniger als 10 Personen beschäftigt?"
    • Nein (10 oder mehr): Ergebnis ist "Du bist KEIN Kleinstunternehmen" (Ende, rot).
    • Ja: Fahren Sie mit Schritt 3 fort.
  3. Zweite Entscheidung: "Jahresumsatz ODER Jahresbilanzsumme ist mehr oder gleich 2 Millionen EUR?"
    • Ja: Ergebnis ist "Du bist KEIN Kleinstunternehmen" (Ende, rot).
    • Nein: Ergebnis ist "Du bist ein Kleinstunternehmen" (Ende, grün).

Der entscheidende Unterschied: Produkte vs. Dienstleistungen

Genau hier liegt der Kern der Ausnahmeregelung. Die Frage ist: Bietest Du (digitale) Dienstleistungen an oder handelst Du mit (physischen) Produkten, die vom BFSG erfasst sind?

Das ist die wichtigste Ausnahme für die meisten kleinen Betriebe: § 3 Abs. 3 Satz 1 BFSG [1] legt fest:

(Die Barrierefreiheitsanforderungen) gelten nicht für Kleinstunternehmen, die Dienstleistungen anbieten oder erbringen.

Klartext: Wenn Du ein Kleinstunternehmen bist und Dienstleistungen anbietest, die unter das BFSG fallen (z.B. eine E-Commerce-Website, eine App, Bankdienstleistungen), bist Du von den Barrierefreiheitsanforderungen komplett befreit.

Beispiele:

  • Du bist ein Freelance-Webdesigner und erstellst Online-Shops.
  • Du bist ein kleines Startup mit 8 Leuten und bietest eine App an.
  • Du bist ein lokaler Händler (weniger als 10 Leute) und betreibst Deinen eigenen Online-Shop.

In all diesen Fällen gelten die Pflichten des BFSG für Deine Dienstleistung nicht. Doch für Produkte, die Du vielleicht zusätzlich verkaufst, kann das anders aussehen (siehe nächster Tab).

Hier ist der gesamte Prozess als Visualisierung:

Textbeschreibung für "Flussdiagramm: Anwendung der BFSG-Pflichten für Kleinstunternehmen" öffnen

Dieses Flussdiagramm zeigt, wie die BFSG-Anforderungen für Kleinstunternehmen basierend auf der Art des Angebots (Dienstleistung oder Produkt) angewendet werden.

  1. Der Prozess beginnt bei "Start: Fällst Du als Kleinstunternehmen unter das BFSG?" und führt zur Unterscheidung: "Was bietest Du an?" (D).
  2. Pfad Dienstleistungen:
    • Angebot ist "Dienstleistungen (z.B. Website, App, Online-Shop)" (E).
    • Ergebnis: "Komplett-Ausnahme nach § 3 Abs. 3 BFSG" (F).
    • Ende: "Keine BFSG-Anforderungen zu erfüllen." (G, grün).
  3. Pfad Produkte:
    • Angebot ist "Produkte (auch) (z.B. E-Reader, Hardware)" (H).
    • Feststellung: "BFSG-Pflichten gelten für die Produkte." (I).
    • Entscheidung: "Ausnahme (§ 16 oder § 17) anwendbar?" (J)
      • Nein: Ergebnis: "Produkt muss konform sein." (K, rot).
      • Ja: Ergebnis: "Vereinfachte Pflichten!" (L). Dies führt zu "Keine Doku-Pflicht (5 J.) / Keine Melde-Pflicht" (M) und endet bei "Nur 'Fakten' auf Anfrage der Behörde vorlegen." (N, grün).

Risiken und offene Fragen

Die Ausnahme für Kleinstunternehmen, die Dienstleistungen erbringen, ist ein Segen für Millionen Solo-Selbstständige und kleine Betriebe. Das größte Risiko besteht darin, Deinen Status falsch einzuschätzen.

  • Risiko 1: Falsche Zählung: Wenn Du 9 Angestellte und 2 "freie Mitarbeiter" hast, die aber eigentlich scheinselbstständig sind, könntest Du von der Behörde als Unternehmen mit 11 Beschäftigten eingestuft werden – und wärst damit voll haftbar.
  • Risiko 2: Produkt oder Dienstleistung? Wenn Du eine App (Dienstleistung) anbietest, die aber auf einem speziellen Gerät (Produkt) läuft, das Du verkaufst, wird die Sache komplex.

Auch wenn Du als Dienstleister ausgenommen bist: Barrierefreiheit ist kein reiner Kostenfaktor. Es ist auch eine Chance. Eine barrierefreie Website hat oft ein besseres SEO-Ranking, eine höhere Nutzerzufriedenheit und erschließt Dir eine Kundengruppe, die Deine Konkurrenz vielleicht ignoriert.

Fazit

Die Ausnahme für Kleinstunternehmen im BFSG ist eine der weitreichendsten und wichtigsten Regelungen des Gesetzes.

Denk immer daran:

  1. Prüfe Deinen Status: Bist Du wirklich ein Kleinstunternehmen nach § 2 Nr. 17? Zähle Deine Mitarbeiter und prüfe Deinen Umsatz.
  2. Trenne Produkt und Dienstleistung: Das ist der wichtigste Schritt.
  3. Als Dienstleister: Du bist mit hoher Wahrscheinlichkeit komplett von den Anforderungen des BFSG befreit (laut § 3 Abs. 3).
  4. Als Produkthändler: Du musst die Anforderungen erfüllen, hast aber "kleine" Pflichten, wenn Du die Ausnahmen § 16 oder § 17 geltend machst.

Im Zweifel solltest Du Deinen Status (besonders die Zählung der Beschäftigten) rechtlich prüfen lassen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Ich bin Freelancer (1 Person) und baue Websites. Gilt das BFSG für mich?

Du bist ein Kleinstunternehmen (1 Person). Du erbringst eine Dienstleistung (Website-Erstellung, die oft E-Commerce nach § 1 Abs. 3 Nr. 5 [1] berührt). Laut § 3 Abs. 3 Satz 1 BFSG [1] gelten die Barrierefreiheitsanforderungen für Dich nicht.

Was ist, wenn ich einen Online-Shop (Dienst) betreibe und physische T-Shirts (Produkt) verkaufe?

Hier kommt es auf die Definition von "Produkt" im BFSG an. Das Gesetz gilt nicht für alle Produkte, sondern nur für die in § 1 Abs. 2 BFSG [1] gelisteten (Computer, Terminals, E-Reader etc.). Ein T-Shirt fällt nicht darunter. Daher: Dein Online-Shop ist eine Dienstleistung. Da Du Kleinstunternehmen bist, bist Du nach § 3 Abs. 3 BFSG [1] von den Anforderungen befreit.

Was ist, wenn ich einen Online-Shop (Dienst) betreibe und E-Book-Reader (Produkt) verkaufe?

Das ist der knifflige Fall.

  1. Für Deinen Online-Shop (die Dienstleistung): Du bist als Kleinstunternehmen nach § 3 Abs. 3 BFSG [1] befreit.
  2. Für den E-Book-Reader (das Produkt): E-Book-Reader sind in § 1 Abs. 2 Nr. 5 BFSG [1] gelistet. Hierfür gelten die BFSG-Pflichten. Du musst also barrierefreie E-Reader verkaufen. Sollte das nicht möglich sein (z.B. § 16 oder § 17), greifen für Dich die vereinfachten Pflichten (keine Doku, keine Meldung).

Was zählt als "Beschäftigter"? Nur Vollzeit?

Das Gesetz sagt in § 2 Nr. 17 BFSG [1] "Personen beschäftigt". Es definiert dies nicht weiter. Üblicherweise wird hier nicht nach Vollzeitäquivalenten (FTE) gerechnet, sondern nach "Köpfen". Teilzeitkräfte zählen in der Regel als volle Personen. Auszubildende sind oft ein Streitpunkt. Im Zweifel solltest Du hier von einer Zählung nach Köpfen ausgehen und rechtlichen Rat einholen, wenn Du nahe an der 10-Personen-Grenze bist.

Haftungsausschluss

Dieser Artikel dient ausschließlich der Information und stellt keine Rechtsberatung dar. Die Anwendung des § 3 Abs. 3 BFSG ist eine komplexe Einzelfallentscheidung. Ich übernehme keine Haftung für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der hier dargestellten Informationen. Bitte ziehe für Deine spezifische Situation unbedingt einen spezialisierten Anwalt hinzu.

  1. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – BFSG)“. 2023. [Online]. Verfügbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bfsg/

Über den Autor

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Beste Grüße

Dmitry Dugarev

Gründer von Barrierenlos℠ und Entwickler des Semanticality™ Plugins. Mit einem Masterabschluss, über 8 Jahren Erfahrung in Web-Entwicklung & IT-Compliance bei Big-Four, Banken und Konzernen und mehr als 1.000 auf Barrierefreiheit geprüften Seiten für über 50 Kunden helfe ich Web-Teams, Barrierefreiheit planbar umzusetzen – ohne monatelange Umbauten.

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